Dienstag, 17. Juli 2007

Second Life - Als ob die Realität nicht bescheuert genug wäre


An einem ganz normalen Tag in Deutschland schleppen sich unzählige furchtbar hässliche Menschen durch die Straßen. Da gibt es Pickel, bauchfreie Oberteile, die bereits bei einmaliger Betrachtung akuten Augenkrebs hervorrufen, Leopardenfellstringtangas, die von Orangenhaut überwuchert werden, und Frisuren, die die volle Bandbreite von Minipli bis Vokuhila abdecken. Kein Wunder, dass immer mehr Leute dieser grauenhaften Welt entfliehen wollen.

Diese Möglichkeit wird ihnen nun durch »Second Life« geboten, einer internetbasierten Parallelwelt für Vollpfosten, denen das Tragen ihres sogenannten Gesichts von Rechts wegen verboten werden sollte. Wenn man sich für dieses Online-Portal anmeldet, kann man erst einmal entscheiden, wie das neue virtuelle Ich nun aussehen soll. Dabei hat man selbstverständlich die freie Wahl und muss sich nicht von irgendwelchen höheren Wesen wie beispielsweise Gott oder den von der Inzucht arg gebeutelten Genen einen mittelmäßigen, sackgleichen Körper oktroyieren lassen. Die Plauze weicht dem Waschbrettbauch, und primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale werden je nach Bedarf verlängert oder vergrößert.

Hat man dieses Procedere der Schaffung einer neuen Identität hinter sich, kann man von nun an sicher sein, dass alles nach den gleichen stumpfsinnigen Regeln abläuft wie im richtigen Leben. Erste Anlaufstelle ist natürlich die BILD-Zeitung, die es auch in einer Second-Life-Variante gibt, und die ähnlich gehaltvoll wie in der Realität über Neuigkeiten der Pixelwelt berichtet. Für die eigene Second-Life-Währung, den Lindendollar, kann man sich Markenschuhe von Adidas kaufen, welche man fortan an seinen imaginären Füßen tragen kann – ein lang gehegter Menschheitstraum, der durch den wissenschaftlichen Fortschritt endlich möglich wurde. Leider ist die Internetwelt an dieser Stelle noch nicht perfekt, da die Technik noch nicht ermöglicht, die virtuellen Treter in indischer Kinderarbeit herzustellen.

Aber sonst ist alles super. Wie in der Wirklichkeit braucht man nicht auf idiotische Gespräche über Wetter und Sex jenseits grammatikalischer Regeln zu verzichten. Wenn man in diesem Paralleluniversum von anderen Teilnehmern angesprochen wird, liegt man mit der Antwort »*liebguck* schön dich zu sehen *lol*« nie ganz falsch. Das ist leicht zu erlernen und macht einfach Spaß. Gleiches gilt für die sexuelle Interaktion. Wer hat sich nicht schon einmal darüber geärgert, dass der Kopulationspartner wie Blutwurst aussieht und an den entscheidenden Stellen mehr als unangenehm riecht? Dieser Frust ist mit Second-Life einfach vorbei! Überall gibt es glattgebügelte Gesichter, und Geruch spielt vor dem eigenen Rechner gar keine Rolle, sofern er nicht die eigenen Füße oder die halbvertilgte Mahlzeit von vor drei Tagen betrifft.

Überhaupt stoßen wir beim Thema Sex schon an einen der wichtigsten Bereiche dieser Online-Community. Wie allgemein bekannt, wurde das Internet in den Siebzigerjahren von einer kleinen Gruppe von Wissenschaftlern geschaffen, um Pornos für die Allgemeinheit frei zugänglich zu machen. Second Life ist hier nur eine logische Konsequenz aus den dabei geschaffenen Sehnsüchten der Nutzer. Wer täglich zusieht, wie sich wohlgeformte Menschen vermehren, der bekommt irgendwann selbst einmal Lust darauf mitzumischen. Leider ist das schier unmöglich, wenn man sich jahrelang nicht bewegt und der Stuhl vor dem PC sich bereits im Gesäß verwachsen hat. Second Life bietet hier einen eleganten Ausweg aus der Misere, indem sich jedermann für schön erklären und wieder Teil eines sozialen Lebens werden kann, ohne solch drastische Schritte wie beispielsweise das Verlassen der eigenen Wohnung in Betracht ziehen zu müssen.

Man kann also annehmen, dass sich menschliches Leben immer weiter in Richtung Internet verlagern wird. In 20 Jahren wird es vielleicht noch einige angenehme Orte auf der Welt mit hübschen und sympathischen Menschen geben, wie Berlin-Mitte oder einige Gemeinden rund um den Wolfgangsee. Der Rest wie Gelsenkirchen, Wolfsburg und Schwedt wird sich nur noch in virtuellen Datensequenzen abspielen. Wichtig ist nur, dass die Unterschicht mit Computern versorgt wird, weitere soziale Zuwendungen sind nicht mehr nötig. Dann wird endlich Ruhe herrschen in unseren Städten, kein Geschrei mehr auf den Straßen von verzogenen Gören, die Alkoholiker werden nicht mehr die Parkanlagen zumüllen, und all das Gesocks wird nur noch da sein, wo es hingehört: hinter Monitor und Tastatur.

Deshalb sind die aktuellen Bestrebungen der Politik, die Datenwelten straffrei zu halten, auch zu verurteilen. Der umgekehrte Weg wäre der richtige: Die Kriminalität in die Virtualität zu treiben. Dann ist sie nämlich nicht mehr in der Realität, also faktisch auch nicht mehr real, was wiederum nichts anderes bedeutet, als dass es sie nicht gibt. Bei Betrachtung des aktuellen Falles von Kinderpornographie, über den zwei Redakteure von »Report Mainz« wohl rein zufällig stolperten, wird augenscheinlich, wie am besten mit einem solchen Problem umgegangen werden müsste. Statt zu versuchen, die Schuldigen, die mit computeranimierten Kindern sexuell verkehrten, in der Realität zu belangen, kann man in Second Life einfach ohne größere Bedenken das machen, was die BILD in realen Fällen von Kindesmissbrauch wenigstens implizit vorschlägt: Schwanz ab und aufhängen das Pack! Es wird die gute alte BRD wieder geben und »national befreite Zonen«. Vor allem aber natürlich: Hinrichtungen. Das tut keinem wirklich weh, die Bevölkerung ist zufrieden, die Gauner müssen sich neu anmelden, und alle können sich wieder mit bestem Gewissen ihrem ruhigen normalsexreichem Second Life widmen.





von Andreas Koristka

aus dem Eulenspiegel:
www.eulenspiegel-zeitschrift.de